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Sein und Tun

Human Beings. Human Doings. Rumrosinen. Dalai Lama. 

English version below


Gestern ist mir mal wieder so ein Mensch begegnet, der seine Zeit im Tun verbringt. Dieser Mensch war nicht ich, hätte aber auch locker ich sein können. Menschen, die immer tun, bekommen viel geschafft, viel erledigt, ihre To do Listen sind ihr Heiligtum. Manchmal möchte man meinen, so eine To do Liste wird im Tagesverlauf öfter angesehen als der eigene Partner... 


Nun ist so eine To do Liste ja schon etwas Tolles: In wenigen Stichpunkten wird vermerkt, was das aktuelle Leben von einem besseren Leben unterscheidet – und oftmals einem, in dem die Dinge dann etwas mehr geordnet und aufgeräumt sind. In dem der Zahnarzttermin vereinbart ist (oh je, der steht noch auf meiner To do Liste), das Paket weggebracht, das Konzept geschrieben, die Wand gestrichen, dieser und jener angerufen, die Hose gebügelt, der Garten von Blättern befreit, die Gartenmöbel eingepackt für den Winter, der Elektromüll entsorgt (auch immer eines dieser To dos, die kaum die Liste verlassen mögen), die Dubai Schokolade gemacht, die Plätzchen gebacken, der Stollen vorbereitet, etc, ist. Während ich das hier schreibe, ertappe ich mich bei dem Gedanken, dass sich das nach einer sehr weiblichen To do Liste anhört. Aber genug der Kategorien, die haben diese Welt noch nie weitergebracht… 


Die Striche der Glückseligkeit

Wir sind also obsessed von unseren To do Listen – den Listen, die unser Leben zusammenhalten. Wir finden unsere pure Erfüllung, gar Glückseligkeit, in dieser einen bedeutungsschweren Geste: dem horizontalen Strich (bei mir mehrfach hin- und her schmierend), der uns signalisiert: Good boy! Du hast heute wieder Fortschritt gemacht. Du hast einen Teil zur Verbesserung deines Lebens beigetragen. Du warst fleißig, vorbildlich, du bist ein guter Erdenbürger! Fein gemacht! Wir erfreuen uns am Gefühl der Zufriedenheit, wenn wir am Abend auf eine To do Liste blicken, bei der wir acht vertikale Krakelstriche sehen. Jeder Krakelstrich steht dabei für aufgefressene Lebenszeit, mal mehr, mal weniger. Aber wir wissen: Das war ein Tag der Achievements, des Tuns. Es war ein guter Tag. (Aber natürlich nur, wenn wir auch das geschafft haben, was wir uns vorgenommen haben. Haben wir nur 7 von 8 Krakelstrichen, dann war es ein schlechter Tag. Ach, der Mensch ist so… unvollkommen – mir fällt kein besseres Wort ein. Zurück zum Thema.)


Was wir bei all unserer To do List-Geschäftigkeit gern vergessen, ist, dass wir uns wertvolle Momente verschenken, in denen wir schon viel früher am Tag dieses Gefühl der Zufriedenheit und der Glückseligkeit hätten erfahren können: nämlich in den Momenten, in denen wir im Tun innehalten und mal auf das blicken, was wir da eigentlich machen. Es sind diese Momente der Schönheit und des Gewahrwerdens, dass diese Welt, die Menschen und Dinge in ihr, eigentlich ganz schön cool ist. Es sind Momente der Wertschätzung und Dankbarkeit, die wir erleben könnten, wenn wir nicht immer nur mit gezücktem schwarzem Faserschreiber schon auf das nächste To List Item spähen, bevor wir das letzte vollendet haben.


Die niemals endende To do Liste unseres Lebens

Wir könnten beim Blätter rechen einfach mal eine Pause machen und uns an der grandios einzigartigen Farbwelt der Blätter erfreuen oder uns überhaupt mal fragen, was das denn für Bäume da um unser herum sind (Hand aufs Herz: Haben Sie eine Ahnung, von welchem Baum diese ganzen Blätter sind?). Wir könnten bei der Stollenvorbereitung einfach mal kurz schnuppern und uns an den Aromen erfreuen, die Zitronat, Orangeat und vor allem die göttlichen Rumrosinen uns bescheren. Oder wir könnten die gestrichene Wand einfach mal ansehen und bewusst feststellen, was wir da geschaffen haben (“celebrating the wins” würde man da im Business Speak sagen) – bevor wir gedankenlos zum nächsten Punkt auf der niemals endenden To do Liste unseres Lebens weiter hetzen. 


Während eines einzigen Tages gibt es so viele Möglichkeiten des Innehaltens, des Präsentseins, oder kurz des Seins. Räume, in denen wir einfach bewusst “nicht tun” können. In denen wir einfach sind, einfach sein dürfen, in denen wir sehen, hören, fühlen, riechen, wahrnehmen können. Wenn Sie so auf Ihr Leben zurückschauen, welches sind die Momente, die Ihnen noch immer vor Augen sind? Die Momente, in denen sie endlos getan haben oder die Momente des Innehaltens? Ich glaube, es sind die letzteren, die das Leben ausmachen. Oder wie der Dalai Lama einst sagte:

“We are human beings, not human doings.” 
 

Being and Doing

Human Beings. Human Doings. Rum Raisins. Dalai Lama.

Yesterday, I encountered someone who spends their time entirely in doing mode. This person wasn’t me, but it could easily have been. People who are always doing get a lot done; their to-do lists are their sanctuary. Sometimes, it seems like these lists are checked more often throughout the day than their own partner...


Now, a to-do list is a wonderful thing: in just a few bullet points, it summarizes what separates your current life from a better one – often a life that’s a bit more organized and tidy. A life where the dentist appointment is booked (oh dear, that’s still on my list), the package is mailed, the concept is drafted, the wall is painted, so-and-so is called, the pants are ironed, the garden is cleared of leaves, the patio furniture is stored for winter, the e-waste is disposed of (one of those eternal list items that never seem to leave), the Dubai chocolates are made, cookies are baked, and the Christmas stollen is prepped. As I write this, I catch myself thinking that this sounds like a very "feminine" to-do list. But enough with the categories; they’ve never improved the world.


The Strokes of Bliss

We are, in short, obsessed with our to-do lists – the lists that hold our lives together. We find pure fulfillment, even bliss, in one profoundly meaningful gesture: the horizontal line (for me, repeatedly scrawled back and forth) that tells us: Good job! You made progress today. You contributed to improving your life. You were diligent, exemplary, a good citizen of the earth! Well done! We revel in the feeling of satisfaction as we look at our list at the end of the day, seeing eight vertical strokes. Each stroke represents time spent, sometimes more, sometimes less. But we know: this was a day of achievement, of doing. It was a good day. (But of course, only if we accomplished what we set out to do. If there are only seven out of eight strokes, it was a bad day. Oh, humans are so… imperfect – I can’t think of a better word. Back to the topic.)


What we often forget in all this to-do list frenzy is that we’re giving away precious moments when we could feel that satisfaction and bliss much earlier in the day – moments when we pause while doing and simply look at what we’re actually doing. These are the moments of beauty and awareness, moments that remind us how cool this world and the people and things in it really are. They’re moments of appreciation and gratitude that we miss because we’re too busy eyeing the next item on the list with marker in hand before finishing the last one.


Life's Endless To-Do List

We could pause while raking leaves and marvel at the breathtaking colors of the leaves or even ask ourselves what kinds of trees they came from (hand on heart: do you know which trees these leaves are from?). We could take a moment while preparing the stollen to inhale the aromas of citron, orange peel, and the divine rum-soaked raisins. Or we could look at the freshly painted wall and consciously recognize what we’ve created (“celebrating the wins,” as they say in business speak) before rushing mindlessly to the next item on life’s endless to-do list.


Each day is filled with opportunities to pause, to be present, or simply to be. Spaces where we can consciously "not do." Where we can just exist, just be. Spaces where we can see, hear, feel, smell, and perceive. When you look back on your life, which moments are still vivid in your mind? The moments of endless doing, or the moments when you paused? I believe it’s the latter that define life. Or, as the Dalai Lama once said:

“We are human beings, not human doings.”
 
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